San Salvador: Siramá, eine Alternative für bedürftigen Frauen

Siramá, mit vollem Namen Centro para la Capacitación Profesional de la Mujer Siramá (Zentrum für berufliche Ausbildung der Frau Siramá). So steht es an der Tür eines ansehnlichen Hauses in San Salvador, der Hauptstadt von El Salvador. Abgesehen von Büros beherbergt es Unterrichtsräume, Werkstätten, eine Backstube und eine große Lehrküche. Bei der Errichtung hatte die RDS sogar 1988 mitgewirkt. Das frühere, vorläufige Siramá war ein Provisorium und zu klein geworden. Das neue entstand in Zusammenarbeit mit einer uns bekannten italienischen Organisation, die uns um eine Beteiligung an ihrem - wesentlich von der Europäischen Kommission mitfinanzierten - Projekt bat. Erst 1996 kam es zur persönlichen Begegnung vor Ort.

 

Trotz der Bezeichnung Zentrum im Namen und des Hauses versteht sich Siramá mehr als ein Programm, nämlich Frauen aus den “comunidades” (Elendssiedlungen) am Rand der Hauptstadt und weiter auf dem Land einen Ausweg aus der Armut zu weisen: Ausbildung für eine Tätigkeit, die sie selbständig zu Hause aufnehmen können, ohne die Familie – oder je nachdem als Alleinerziehende die Kinder – zu vernachlässigen, für die aber auch der Arbeitsmarkt Chancen bietet; im ersteren Fall dann Hilfe auch noch vor Ort, bis die eigene Back- oder Konditorstube, der Friseur- und Kosmetiksalon, die Näh- und Schneiderei, der Papier- und Festdekorationsladen (große Nachfrage) oder der Kochservice etabliert ist und läuft. Entsprechender Unterricht in Organisation, Vermarktung, Buchführung gehört ohnehin zum Siramá-Programm, das darüber hinaus auch die Hinführung zu Grundhaltungen und Tugenden wie Beharrlichkeit, Optimismus, Arbeitsamkeit, Geduld und Takt im Umgang mit anderen enthält. “Oft müssen wir ihnen zuerst einmal beibringen, wie man am Tisch ißt”, meinte Marta, die ebenso liebenswürdige wie resolute und kompetente Chefin des Programms, die ihre Tätigkeit in einer Bank dieser Aufgabe geopfert hatte, der sie sich nun gemeinsam mit Regina, einer Architektin, und der Ingenieurin María Teresa widmete. Mehr noch: Worauf Siramá hinauswolle, erklärten die drei, das sei, die in den verschiedenen comunidades schon erfolgreich selbständig tätigen ehemaligen Siramá-Schülerinnen zu örtlichen “lideres” (Führungskräften) heranzubilden, die – gegebenenfalls mit anderen Sirama-Absolventinnen zusammen – in ihrer Umgebung den Geist eigener Initiative verbreiten und Gelerntes weitergeben. Mit Hilfe der Siramá-Kräfte, soweit nötig und möglich. So sollten sozusagen “Metastasen” von Siramá in den comunidades selbst entstehen. Damit würde auch ein Hindernis für viele Frauen überwunden, die zwar gerne zur Ausbildung nach Siramá kämen, aber die mitunter 3-stündige Anfahrt und Heimfahrt täglich nicht durchhielten. Weder zeitlich noch geldlich. Hauptleidtragende sind die alleinerziehenden Mütter.

 

Die gemeinsamen Besuche schon funktionierender “microempresas” (Kleinst- unternehmen) in fünf comunidades wurde zugleich eine Lehrstunde über diese Elendssiedlungen selbst. Nach dem ersten äußeren Eindruck handelt es sich schlicht um chaotische Verhältnisse: um eine zufällige Zusammenwürfelung von Menschen ohne Mittel, strukturlos und führungslos.

 

Der Eindruck trügt. Inmitten einer Ansammlung besonders primitiver Verschläge aus Karton und Blech, die erst kürzlich illegal entstanden war, scharte sich um das ankommende Auto bald – in vorsichtig mißtrauischer Distanz - eine Reihe von Leuten, während eine ebenso einfache wie entschlossen wirkende Frau direkt auf uns Ankömmlinge zusteuerte, uns befragte, wer wir seien und was wir wollten, um dann die weitere Unterhaltung unwidersprochen in “Wir”-Form für die ganze comunidad zu führen. Sie hatte die Führung, ganz offenkundig.

 

Gemäß der Belehrung seitens der Siramá-Damen gibt es drei Arten oder Stadien der Ansiedlungen. Stadium 1: Neue, meist illegal entstandene wie diese hier: Hütten oder besser Verschläge aus Karton, Blech, Zeltplanen, ohne Strom, ohne Wasser, ohne Abwasserentsorgung, ohne Verkehrsanbindung. Wird der Platz nicht sogleich zwangsweise geräumt, kommt ab und zu ein öffentlicher Tankwagen und bringt Wasser, damit die Leute nicht verdursten: totales Elend. Stadium 2: Die Ansiedlung wird legalisiert. Dann bekommt sie auch irgendwann Strom- und Wasseranschluß und wird mit der Lieferung einfacher Baumaterialien öffentlich unterstützt. Unter ordnender Anleitung bauen die Leute - in Eigen- und Nachbarschaftshilfe – kleine festere Unterkünfte (z.B. halbstein-gemauert mit Wellblechdach), befestigen Wege und legen Gräben für Abwässer an. Dies ist Voraussetzung, um - Stadium 3 – die Initiative zu wecken, Ausbildungsmöglichkeiten wahrzunehmen und das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.

 

Analphabeten sind in den comunidades 35% der Männer und 40% der Frauen. Die Frauen, die in Siramá ausgebildet werden, kommen meist aus Familien mit einem Einkommen unter dem Mindestlohn. 1998, als wir ein Gemeinschaftsprojekt mit Siramá begannen, lag er bei monatlich US$ 130. Das Projekt, welches der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mitfinanzierte, bot 55 Frauen eine berufliche Ausbildung: 22 wurden Bäckerinnen/Konditorinnen, 15 wurden Schneiderinnen, 18 Friseusen und Kosmetikerinnen. Zum Start in die Selbständigkeit erhielten sie eine Grundausstattung mit dem betrieblich Notwendigsten im Wert von DM 1000-1500.
Obwohl nicht Pflicht, folgten viele von ihnen der Anregung und zahlten in der Folgezeit aus den erzielten Einnahmen bis zu 75% des Wertes der erhaltenen Starthilfe an Siramá, um auch anderen Frauen eine Existenzgründung zu ermöglichen.