Iloti und Enugu: Vom Health Center auf dem Land zum Stadt-Krankenhaus

Abidagba Health Center bei Iloti:


In Nigeria hatten wir zwar Bekannte, aber unser Engagement in Nigeria fing anders an. Mit einer deutschen Arztfamilie. Andreas, 22, ein Sohn, war vor zwei Jahren im Straßenverkehr getötet worden. Sein Erspartes, so dachte die Familie, und einiges mehr, was die Eltern ihm zugedacht hatten, solle für einen guten Zweck eingesetzt werden. Für etwas, das dem Leben dient. Am besten – und ganz in seinem Sinne – in Afrika. Dort war er mit der Familie einmal gewesen und hatte den Vorsatz mitgenommen, für die Menschen dort Hilfe zu organisieren. Der erste Versuch, ein geeignetes Projekt zu finden, klappte nicht. 1991 trug die Familie der RDS das Anliegen vor. Und wir unseren Bekannten in Nigeria. Wir rannten offene Türen ein. Einer unserer Bekannten gehörte zur Leitung der Educational Co-operation Society (ECS) in Lagos, die, abgesehen von mehreren Bildungszentren in den Städten Lagos, Ibadan und Enugu, auf dem Land im Distrikt Itamakpako, nahe der Kleinstadt Iloti, ein Tagungshaus unterhält: das Iroto Conference Center. Mit diesem ist das Iroto Rural Development Center verbunden, das sich der ländlichen Entwicklung widmet, insbesondere der Frauenbildung. Von hier ist es nach Lagos und nach Ibadan etwa gleich weit: rund 80 km.

 

Im Iroto Rural Development Center war ein Jahr zuvor ein Zimmer frei gemacht worden, damit hier Frau Dr.med. Otiti sich dringender Krankheitsfälle annehmen konnte. Malaria, Gelbfieber, Salmonelleninfektionen, Amöbendysenterie, Hepatitis, Haut- und Darmbefall mit Guinea- und Rundwürmern sind häufig. Noch häufiger sind aufgrund Mangelernährung der typische Eiweiß- und Vitaminmangel Kwashiorkor und allerhand sonstige Mutter-/Kindprobleme. Dem Antwortbrief der ECS, der wortreich erläuterte, wie dringend der Bau einer Mini-Poliklinik mit geeigneten Räumen zur Behandlung und für elementaren Unterricht in Sachen Akutbehandlung geläufiger Erkrankungen und Gesundheitsvorsorge sei, war ein handschriftlicher Brief von Regina Adekoya beigefügt, die schreiben konnte und – in Iloti sprechen die Leute Yoruba - sogar etwas Englisch. “Ich war zum ersten Mal in der Klinik am 23. Februar 1990”, schreibt sie, “und bin die Nr.1 auf der Patientenliste.”

Niger Foundation Hospital in Enugu:


Die beiden Jahre blieben aber auch in Nigeria nicht ungenutzt. Unsere Projektreise nach Iloti führte auch nach Enugu. Aus verschiedenen Gründen. Ein medizinischer gehörte jedenfalls nicht dazu. Der Arzt Dr. Nerio Picardo, den der RDS-Geschäftsführer dort kennenlernte, weil er zum Freundeskreis der Initiatoren des Abidagba Health Centers gehörte, und mit dem er sich schnell anfreundete, ein Gastro-Enterologe, führte ihn zu einem Haus, das nach einem Einfamilienhaus aussah. Hier und im Nachbarhaus hatte Dr. Picardo wenige Monate zuvor gemeinsam mit zwei Kollegen, einer Gynäkologin und einem Allgemeinarzt, eine Gemeinschaftspraxis mit einer 12-Betten-Station eingerichtet. Auch Labor, Operationszimmer und Sterilisationseinrichtung, 2 Behandlungszimmer, Röntgenzimmer und Apotheke waren vorhanden. In zwei kleinen Nebenbauten im Hof wurde Wäsche gewaschen und Abfall entsorgt. Alles schlicht, fast primitiv, aber sauber. Dr. Picardo sprach von einem Pilotprojekt. Sollte der Versuch gelingen, es – ohne Abstriche am gebotenen medizinischen Niveau - einigermaßen wirtschaftlich selbsttragend zu unterhalten, sehe er den Bau eines größeren Krankenhauses voraus. Hierfür habe eine Persönlichkeit Enugus sogar schon ein ansehnliches Grundstück zugesagt oder schon geschenkt. Jetzt schon, aber erst recht mit Blick auf dieses Abenteuer könne er sich, wenn die jetzt kleine Einheit sich bewähre, auf seine Freunde vor Ort und in Lagos stützen. Sie hätten eine Stiftung gegründet, die Niger Welfare Foundation, der schon sein jetzt kleines Pilot-Krankenhaus gehöre. Auf dem Schild vor dem Eingang stand tatsächlich: “Niger Foundation Hospital”. Die Stiftung war bislang tätig im Bereich der ärztlichen Grundversorgung, der Prävention, Gesundheitsaufklärung und Helferausbildung. Dies alles wolle sie absichern durch Anbindung an ein professionelles klinisches Zentrum, das dann diese Initiativen koordiniert.

 

In Nigeria haben bis heute allenfalls 60 Prozent der Bevölkerung überhaupt Zugang zu irgendwelcher ärztlicher Versorgung. Der öffentliche Aufwand für das gesamte Gesundheitswesen beträgt kaum 5% des jährlichen Staatshaushalts. Im Jahr 2000 stand im Bericht des nationalen “Komitees Vision 2010” zu lesen: “Infrastruktur und Ausstattung im Gesundheitsdienst sind überaltert, schadhaft und verfallen.” Ferner ist die Rede von mangelnder Koordination, schlechter Versorgung mit Arzneimitteln, von Verschwendung und Ineffizienz. Schon aus Kostengründen werden gesundheitlicher Grundversorgung und Prävention Priorität vor Investitionen in Einrichtungen kurativer Medizin eingeräumt. Angesichts mangelnder Sozialversicherungssysteme können deren Leistungen von den wenigsten angemessen bezahlt werden. Die prioritären kleinen Dispensarien und Health-care-Zentren werden in der Regel von Krankenschwestern, Nachwuchsärzten und Helfern betreut, verlangen zwar weniger Aufwand, bedürften aber der Rückkopplung und Zusammenarbeit mit professionell geführten Kliniken.

 

Diese stehen aber, sollte es nicht ausländische Dauergeldquellen geben, die dann aber den Grundsatz “Hilfe zur Selbsthilfe” unterlaufen, vor einem Dilemma: Entweder ihre Leistungen bleiben einer zahlungskräftigen Bevölkerungsminderheit vorbehalten, oder die Leistungen werden – aus sozialer Verantwortung – jedermann gewährt, aber ungenügend vergütet. Sie werden dann immer schlechter, weil die Einrichtungen schleichend verfallen. Die eigentliche Herausforderung von Dr. Picardos Pilotprojekt war demnach eine Art Quadratur des Kreises: Einerseits Kranke nicht aus nur geldlichen Gründen abzuweisen, und andererseits keine Qualitätseinbußen der medizinischen und pflegerischen Leistungen hinzunehmen.

 

Iroto Health Center also. Alle waren einverstanden. Erst später wurde – auf Bitten der Frauen der Umgebung – der Name in Abidagba Health Center geändert. Ende 1992 lagen Baupläne vor: 350 qm Nutzfläche für Untersuchungs-, Behandlungs-, Aufenthalts-, Unterrichtsräume, Apotheke und Kleinlabor. Dazu die Bedarfsliste für die Einrichtung und ein Ambulanzfahrzeug. 1993: Suche hierzulande nach dem für das alles noch fehlenden Geld. Und Besuch vor Ort: Durcharbeitung des Projekts, u.a. anhand unserer typisch kritischen Fragen, ob und wie denn der Betrieb des Health Center, wenn gebaut und eingerichtet, ohne unsere Hilfe unterhalten werden und wie er personell abgedeckt werden könne.

 

Zu den Antworten gehörten Mehrzahlungen Wohlhabender, die in einen Sozialfonds für die Behandlung Mittelloser fließen, Aufstockung des Sozialfonds durch private, ggf. später auch öffentliche Zuwendungen, hier und da durch Honorarverzichte von Ärzten, aber auch differenzierte Prüfung der Leistungsfähigkeit armer Patienten und ihrer weiteren Familien. In Gesellschaften, in denen die Lebensrisiken in der Familie auch sonst geteilt würden, sei Mittellosigkeit leicht auch ein wohlfeiles Argument. Dazu konnte er bereits handfeste Beispiele aus seinen kleinen Krankenhaus nennen, mit denen – ein gutes Vertrauensverhältnis im Hause vorausgesetzt - das ortsansässige Personal im Übrigen weit geschickter umgehen könne als er selbst.

 

Tatsache ist, und hiervon erfuhren wir Näheres erst sechs Jahre später, daß die Niger Welfare Foundation auf dem geschenkten städtischen Grundstück in Enugu bereits 1997 – mit ausländischer Hilfe – ein Diagnostik-Labor errichtet hatte, das allen Ärzten in Enugu seine Dienste anbietet und damit zu einem guten Klima der Zusammenarbeit beiträgt. Zugleich hatte man begonnen, Ärzte und Krankenswestern zur Qualifikation zu Hause anzuhalten oder ins Ausland zu schicken. Inzwischen wurde – in Zusammenarbeit mit NROs anderer europäischer Länder - das neue Niger Foundation Hospital gebaut: Für ambulante Behandlungen in der endgültig beabsichtigen Größe; für die stationären Behandlungen eine erste Phase mit 35 Betten, ausdehnungsfähig auf später 105. Zur Spitzenfinanzierung der Baukosten und noch dringend erforderlicher Einrichtung trug dann RDS aus hierfür erhaltenen Spenden, die das Kindermissionswerk in Aachen noch mit einem Beitrag aufstockte, rund 100.000 Euro bei.

 

Im Niger Foundation Hospital arbeiten 9 Ärzte, darunter – gemäß dem Schwerpunkt Mutter-/Kind-Fürsorge zwei Gynäkologinnen und ein Pädiater, zwei Teilzeitärzte, 12 bestqualifizierte Krankenschwestern und 28 Krankenschwesternschülerinnen in Ausbildung, ein Apotheker, ein Chemiker, drei Laboranten, weiteres Hilfs- und Wachpersonal, und ein Manager als Krankenhausverwalter, alle Nigerianer. Die Zahl der Patienten beträgt über 50.000 pro Jahr.